Zwischen Angst und Vertrauen auf dem Kletterturm

An die Frau, die mein Kind vom Kletterturm holte

Liebe Unbekannte,

wir sind uns am Sonntag-Vormittag den 10. Juli 2016 auf diesem Spielplatz begegnet. Du warst dort mit deinem Mann und deiner Tochter im Schulkind-Alter. Ich war dort mit meinen zwei Töchtern 3 und 5 Jahre alt. Wir waren die einzigen zwei Familien auf dem Spielplatz. Ich selbst saß einen Teil unserer Spielplatz-Zeit auf der schattigen Bank unter dem Baum, während meine beiden Töchter mit Kopfbedeckungen den Kletterturm erkundeten. Es wurde schon langsam heiß für 11 Uhr vormittags.

Die Kleine stieg auf den Kletterturm

Es mag sein, dass meine 3-Jährige für ihr Alter eher klein ist. In der Kurve beim Kinderarzt war sie immer unterhalb der Mittellinie. Auf jeden Fall ist sie im April 3 Jahre alt geworden. Sie hat auch keine Windel mehr und schon lange keinen Schnuller…

Der Boden unter dem Gerüst ist mit federndem Rindenmulch bedeckt. Meine Tochter kletterte am Kletterturm bis ganz nach oben. Dort stand sie dann. Sie weinte nicht und sie rief nicht nach Hilfe. Ich beobachtete sie von der Bank aus. Du gingst zu ihr. Dann nahmst du sie von hinten unter den Armen, um sie auf den Boden zu stellen.

Ich beobachtet deine Aktion und musste innerlich(!) aufschreien. Eigentlich wollte ich dich sofort ansprechen. Aber ich kenne meine Tochter. Und ich entschied mich dafür, die Situation weiter still zu beobachten.

Eine die weiß was sie will

Meine Tochter stand da. Etwas verdutzt. Und im nächsten Moment stieg sie wieder den Kletterturm nach oben. Sie kletterte wieder bis ganz nach oben. Und sie stand dort oben auf der vorletzten Sprosse, die oberste Sprosse fest umklammert, und genoss die Aussicht. Da kamst du wieder! Du kamst auf sie zu mit ausgestreckten Armen und warst schon neben ihr. Aber sie sagte zu dir mit ihrer ganzen kindlichen Überzeugungskraft: „Ich will alleine runter klettern!“

In diesem Moment war ich sehr stolz auf meine Tochter. Ich bin bestimmt weit davon entfernt eine perfekte Mutter zu sein. Aber ich habe meine Tochter zu einem selbstbewussten, kleinen Menschen erzogen.

Weißt du noch, wie ich lachte und zu dir, liebe Unbekannte, sagte: „Ich habe auch immer eine wahnsinnige Angst, wenn sie da hoch klettert!“ Ich bin dir nicht (mehr) böse. Ich weiß du hast aus Sorge und Angst gehandelt. Du bist jemand der nicht weg schaut. Das ist eigentlich eine gute Eigenschaft.

Zwischen Angst und Vertrauen

Liebe Unbekannte,

natürlich weiß ich es nicht sicher, aber kann es sein dass deine Tochter, die auf dem Spielplatz dabei war, dein einziges Kind ist? Vor ein paar Jahren, als ich selbst erst eine Tochter hatte, stand ich auf dem Spielplatz fast immer hinter ihr, um sie vor einem Sturz zu bewahren.

Bei mehreren Kindern muss man vielleicht auch einfach gelassener werden, denn man kann nicht immer überall gleichzeitig sein. Und genau das ist manchmal auch gut so. Denn wie sollen unsere Kinder denn sonst lernen ihre eigenen Grenzen zu erkennen?

Mehr Vertrauen

Ich habe immer wieder Angst um meine Kinder. Aber ich versuche ihnen jeden Tag mehr zuzutrauen. Denn ich müsste viel mehr Angst um sie haben, wenn ich ihnen nicht die Chance geben würde, ihre Fähigkeiten und ihre Selbsteinschätzung zu verbessern.

Ella von Herzkindmama.de

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Diesen Artikel habe ich für den Scoyo Eltern! Blog Award eingereicht.


Kommentare

8 Antworten zu „An die Frau, die mein Kind vom Kletterturm holte“

  1. Es ist so wahr,wie du das beschrieben hast. Als ich nur Laura hatte(erstes Kind) war ich im Garten ständig hinter her, sie durfte die Treppe nicht alleine hochgehen, musste immer auf der gleiche Ebene mit mir sein. Seit dem ich ein Baby habe, und bei diesem Wetter traue ich mich mit meinem Mädels alleine im Garten zu sitzen. Bin ich bisschen entspannter, ich lasse sie machen was sie möchte, obwohl ich wegen der Treppe immer noch Angst habe. Ich kann nicht überall sein, trotzdem muss man aufpassen, die Kinder mit 3 sind noch klein und wir als Eltern, haben die Aufgabe auf sie aufzupassen.Egal ob man 1,3,oder 5 Kinder hat.
    Liebe Grüße
    Karolina

  2. Ich habe so viele gefährliche Sachen gemacht in meiner Kindheit, wir waren draußen unterwegs, sind gefährliche Hänge hochgeklettert, es hätte so viel passieren können. Aber hätten wir das nicht gedurft, hätte ich eine ganze Menge verpasst. Es kann immer etwas passieren egal wie sehr man aufpasst. Eine Freundin hat mich mal VERURTEILT weil ich mit der ersten Tochter als sie noch keine 2 war Schlittenfahren gegangen bin auf einer kleinen Rodelpiste. Ich bin nicht mit ihr zum Spass aus einem Flugzeug gesprungen… ich finde es einfach schlimm wenn andere Menschen einen verurteilen. Wir leben alle unser Leben. Die einen haben mehr Spass, die anderen haben mehr Angst. Man muss sein gesundes Mittelmaß finden. Im Kindergarten sind 2 Erzieherinnen für 20 Kinder verantwortlich, die stehen auch nicht hinter jedem 3-Jährigen Kind, dass irgendwo hochklettert. In unserem ersten Kindergarten, gab es draußen ganz viele Steine, ich hatte jedesmal Horrorvorstellungen, wenn ich einen Krankenwagen gehört habe und meine Tochter im Kindergarten war. Ich hatte Angst einen Anruf zu bekommen. Ich hatte Angst wenn ich unterwegs war und mein Handy nicht dabei hatte, dass der kindergarten mich nicht erreichn könnte. Ich habe Angst wegen Terroranschlägen. Ich habe Angst zu sterben. Ich muss immer wieder gegen irgendwelche Ängste kämpfen. Jeden einzelnen Tag.

  3. Naja. Einerseits war das wohl ein Eingriff, bzw. eine Geringschätzung deiner Kompetenz. (Falls sie dich wahrgenommen hat) Andererseits wird immer wieder beklagt, dass die Leute zu wenig Mitverantwortung gegenüber ihren Mitmenschen und Mitkindern zeigen. Insofern hat sie sich richtig verhalten, weil sie der Meinung gewesen ist, dass deine Tochter in Gefahr ist.
    Es hätte vielleicht auch gereicht, wenn sie lediglich ihre Hilfe angeboten hätte oder so.
    LG Sabienes

  4. Moin Sabine, also sie muss gewusst haben, dass ich da bin. Wir waren die einzigen auf dem Spielplatz 🙂 ich saß halt auf einer Bank… Wie kann ich nur? Der Spielplatz ist doch ein Elternkind-Parcour und kein Erholungsort 😛

  5. eine sehr interessante Situation, bei der ich nicht entscheiden möchte, ob/wer falsch/richtig gehandelt hat. Es wird so viel (und auch schwer kombinierbares, wie du dass Ella mit Aufsichtspflicht „vs“ Kinder-Grenzen-austesten-lassen angedeutest hast) von Eltern erwartet… Was mich ein wenig erstaunt, ist wie lässig deine Tochter der Unbekannten begegnete. Von jemand Fremdes einfach so hochgenommen zu werden, kann für solch kleine Kinder auch sehr erschreckend sein.

  6. Liebe Corinna,

    ja es ist schwierig jeden Tag Entscheidungen für dein Kind zu treffen. Auch spannend finde ich die momentane Diskussion um die Notaufnahme und wann man mit Kindern da hin fahren sollte oder wann man besser zu Hause bleibt, das Einschätzen, wann es gefährlich wird.

    Ich denke, dass die Eltern (z.B. auch meine Eltern) da früher viel lockerer waren. Meine Töchter sind in Bezug auf fremde Personen beide sehr offen, was mir auch manchmal Bauchschmerzen bereitet. Meine 5-Jährige war da noch viel extremer in dem Alter. Sie ist zu fremden Vätern auf dem Spielplatz gegangen. Wenn die ELtern dabei sind, ist es ja okay.

    Mittlerweile haben wir einige Bücher wie „Ich darf nicht mit Fremden gehen“ etc. um sie auf diese Situationen vorzubereiten. Im Kindergarten heißt es auch sie ist extrovertiert und erzählt viel. Das ist den Erzieherinnen angeblich lieber, als ein Kind, aus dem sie alles heraus kitzeln müssen. Auf jeden Fall haben beide eine starke Mutter-Kind-Bindung, ich denke dass sie dadurch auch sehr offen und selbstbewusst sind.

    Liebe Grüße
    Ella

  7. Danke für deinen Beitrag zu meiner Blogparade!
    Ja, eine schwierige Situation. Ich muss aber sagen, dass ich anders als die Frau reagiert habe. Es aber im Endeffekt gut finde zu wissen, dass andere Menschen auch auf mein Kind schauen. Das bezieht sich auf Gefahrensituationen und diese war wohl keine, für eine andere Person war es das eben. Das mag ich an Spielplätzen, dass alle aufeinander achten. Manchmal klappt es mehr, manchmal weniger…

    Liebe Grüße,
    Lara

  8. Liebe Lara, eigentlich wäre das optimal: Eine Welt in der alle aufeinander achten, ohne unterschwellige Andeutungen, der andere würde gerade sein Kind vernachlässigen, weil man nicht 100% der Zeit daneben steht. Lg Ella

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