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Eingreifen oder nicht

Eingreifen oder nicht?

    Immer wieder sehe ich Dinge oder Situationen, bei denen ich mich frage, ob ich eingreifen soll, das Richtige tun soll… Was ist schon richtig? Ich habe Entscheidungen getroffen, bin aktiv geworden oder passiv geblieben. Egal was ich gemacht habe: In beiden Situationen hatte ich danach ein schlechtes Gefühl. Hätte ich lieber nichts getan? Hätte ich besser reagiert?

    Hätte ich mich besser nicht eingemischt? Wann ist ein Eingreifen sinnvoll? Was ist mit mir und meinen Kräften? Ein langer Artikel. In zwei Episoden. Wer möchte kann sich fragen, wie er selbst gehandelt hätte. Aber bitte tut eins nicht: Verurteilt mich nicht auf Grund meines Handelns. Denn ihr seid nicht in meiner Situation gewesen. Es gibt niemanden der genau in dieser Situation war. Außer mir.

    Kinder am Spielplatz-Zaun

    Die erste Situation war mal wieder auf einem Spielplatz. Anscheinend komme ich auf Spielplätzen oft in doofe Situationen. Vielleicht sollte ich diese Plätze besser meiden? Ich war also alleine mit meinen Töchtern 3 und 5 auf dem Spielplatz. Dann kam ein junger Vater mit Migrationshintergrund und seinen zwei Kindern (geschätzt 2 und 4). Ein weiterer Vater mit seinem Sohn.

    Die Kinder spielten und plötzlich nahm ich war, dass die zwei Kinder des jungen Vaters am Zaun standen und immer wieder riefen und über den Zaun starrten. Ich schaute mich um und konnte den jungen Vater nicht mehr entdecken. Ich dachte, naja, vielleicht ist er kurz in die Büsche zum Pinkeln. Es vergingen wenige Minuten und er kam nicht wieder.

    Sollte ich eingreifen?

    Die Kinder standen noch immer am Zaun und riefen besorgt. Ich wurde nun auch sehr unruhig und begab mich auf den Weg zu einer Bank neben den Kindern. In der Richtung, in der ihr Vater verschwunden war, war ein Supermarkt. Dazwischen eine Böschung und eine Hauptstraße.

    Ich sprach die beiden an, aber sie konnten mich nicht verstehen. Ich versuchte Ruhe auszustrahlen und sie mit aufmunternden Worten an zu lächeln. Eigentlich wollte ich den anderen Vater mit dem Jungen ansprechen. Der war aber mit seinem Sohn vom Spielplatz verschwunden. Toll du Arsch!

    Also war ich mit mir am ringen, die Polizei zu rufen. Ich musste an den Artikel „Ohne Worte von Kiddo the Kid“ denken und wog ab, sollte ich eingreifen? „Wenn ich jetzt die Polizei rufe und der Vater kommt wieder zurück, bis die da sind. Dann steht wohl Aussage gegen Aussage…“ Der andere Vater hatte sich ja netterweise verkrümelt.

    Eine schwere Entscheidung

    Ich malte mir alle möglichen Szenarien aus. Besonders wollte ich die Kinder nicht erschrecken oder in Gefahr bringen. Sowohl meine, als auch die fremden nicht. Denn wie würde der Vater reagieren, wenn die Polizei aufkreuzt? Was würde die Polizei überhaupt mache? Eine Verwarnung aussprechen? Und dann? Lässt der Vater seine Wut an den Kindern aus, weil sie gerufen haben und so meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben?

    Ich musste diese Entscheidung treffen. Niemand sonst. Ich war selbst von dieser Entscheidung betroffen. Ich hätte vielleicht auf die Polizeiwache mit gehen müssen, mit zwei kleinen Kindern. War ich diesem Stress gewachsen? Nein. Ich entschied mich dafür: Keine Polizei.

    Der Vater, tauchte wieder auf. Er hatte sich wie vermutet im Supermarkt etwas zu Trinken geholt. Dann gingen sie relativ schnell. Wir blieben noch eine Weile, etwas geplättet und zweifelnd an der Entscheidung. Eine Entscheidung, die nicht richtig ist, nicht falsch ist, nicht rückgängig zu machen ist.

    Mutter mit Selbstmord-Gedanken

    Sie ist die Hauptverdienerin. Sie pendelt jeden Tag 4 Stunden zur Arbeit mit der Bahn. 2 Stunden hin und 2 Stunden zurück. Er ist der Hausmann. Der Papa, der Elternzeit genommen hatte, weil sie besser verdient. Der die Kindergarten-Eingewöhnung gemacht hat und nicht mehr in seinen alten Job rein kam. Der nun als Nachtwächter auf 400 €-Basis schafft.

    Was da noch alles dazu kommt, lässt sich in einem Artikel schwer zusammenfassen. Auf jeden Fall fragte sie mich kürzlich nach meinem Vater, der Therapeut ist, und schrieb mir einen Tag später eine Nachricht (nach vielen anderen): „Du kannst mich nächste Woche auf dem Friedhof besuchen!“

    Es war ein Samstag und ich schlug ihr vor, dass ihr Kind erstmal bei uns übernachten könne. Damit sie sich mit ihrem Mann, der ja anscheinend der Hauptgrund für ihre Depression ist, in Ruhe beraten könne. Sie wollte darüber nachdenken.

    Ich hatte Angst

    Zwei Stunden später versuchte ich sie erneut anzurufen. Ich probierte es auf dem Festnetz und auf dem Handy. Nichts. Ich sagte meinem Mann, dass ich mir Sorgen mache und dass ich jetzt zu ihr fahre. Also stieg ich in das Auto. Beklommen. Was würde mich erwarten. Auf der Fahrt ertappte ich mich dabei, wie ich auf einer Brücke Ausschau nach ihr hielt.

    Dort angekommen, war ich erstmal erleichtert, dass sie da war. Sie sagte sie hätte geschlafen. Aber ihr Mann war ja auch da. Toll wenn dann keiner ans Telefon geht! Ihr Kind fragte mich, ob es heute bei uns Übernachten dürfe. Ich sagte: „Von mir aus gerne.“ Ich nahm ihren Mann zur Seite und fragte ihn, ob sie schon länger Selbstmord-Gedanken hätte.“Ja, aber was soll ich tun!“ war seine Antwort.

    Ich hatte vorher meinen Vater (Arzt für Psychologie) gefragt, was man in so einer Situation tut und er hatte mir die Krisenintervention (eine psychologische Tagesklinik empfohlen). Also sagte ich ihrem Mann, dass er mit ihr dort hin fahren könne. Denn ein Termin beim Psychologen wäre laut meinem Vater zeitlich zu weit entfernt.

    Hätte ich nicht eingreifen sollen?

    Sie hatte die Sachen für ihr Kind gepackt und brachte es mit mir runter zum Auto. Wir blieben in Kontakt, telefonierten und texteten. Sie wollten ihr Kind am nächsten Morgen wieder abholen. Ich ahnte schon, dass sie nicht in die Klinik fahren würden. Und morgens dann die Konfrontation…

    Wir standen im Flur und die Kinder (meine und ihres) waren in unmittelbarer Nähe. Da fing sie an zu weinen und mich zu beschimpfen, ich wolle ihr ihr Kind wegnehmen. Ich hätte sie übergangen und sie wollte es mir überhaupt nicht mitgeben. Aber ich hätte ihr keine Wahl gelassen.

    Als sie zur Tür raus waren, konnte ich nur noch weinen. Ich war am Ende. Und ich weiß nicht, ob ich so bald wieder dazu in der Lage sein werde, jemanden „zu helfen“.

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